Mag. Gerald Klemensich, Leitung Rückversicherung Vienna Insurance Group, Wien, Österreich
Ing. Roman Brablec, Leitung Rückversicherung Kooperativa und ČPP, Prag, Tschechische Republik
Wie sehr müssen wir uns vor stürmischen Zeiten fürchten, Herr Klemensich und Herr Brablec?
Klemensich: Eigentlich sollten wir uns davor fürchten. Nur leider neigen wir dazu, es nicht zu tun und den Gedanken an große Gefahren einfach zu verdrängen. Aber so sind wir Menschen eben. Dafür gibt es in unserem Unternehmen dann Spezialisten wie uns beide, quasi „professionelle Sich-Sorgen-Macher“. Unser Job ist es zu verhindern, dass aus einer Naturkatastrophe wie Hagel, Sturm oder Überflutung auch ein bilanzieller Großschaden für unser eigenes Haus, die VIG, wird. Einfacher gesagt: Wir versichern die Versicherung gegen das Schlimmste.
So lange nichts passiert, haben wir als Rückversicherungsverantwortliche manchmal ein wenig Argumentationsnotstand. Bricht allerdings tatsächlich irgendwo eine Katastrophe aus und bleibt dank unseres Sicherheitsnetzes alles im Rahmen, dann hinterfragt plötzlich niemand mehr unsere Arbeit.
„Als Versicherungsunternehmen werden wir eines ganz sicher niemals tun: uns nachlässig rückzuversichern.“
Unsere Aktionäre müssen sich also keine Sorgen machen. Unsere maximale Haftung für Großschäden können wir tagesaktuell errechnen. Als Versicherungsunternehmen werden wir eines ganz sicher niemals tun: Uns nachlässig rückzuversichern, weil wir uns zu wenig vor der Unberechenbarkeit von Naturkatastrophen fürchten.
Brablec: Wir Rückversicherungsmanager sehen trotz dem langfristigen, sukzessiven Anstieg an Naturkatastrophen, die unsere Industrie beeinflussen, vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Warum? Ganz einfach, weil wir Menschen lernfähige Wesen sind. Nehmen wir als Beispiel das Hochwasser 2002 in der Tschechischen Republik. Damals verwandelte eindringendes Moldauwasser die Prager U-Bahn-Züge in eine U-Boot-Flotte. Es handelte sich um einen einzelnen riesigen Schadenfall inmitten eines katastrophalen Hochwassers, der viele ins Schwitzen brachte. Doch zum Glück waren wir dementsprechend rückversichert – wir gehen davon aus, dass das auch heute der Fall ist, da unsere Modellrechnungen für Naturkatastrophen-Exposure-Bewertungen viel fortgeschrittener sind. Zudem passen die Betroffenen ihr Verhalten nach solchen Erlebnissen an und lernen daraus. Beim letzten Hochwasser 2013 hatten die Prager dann bereits den mobilen Hochwasserschutz im Einsatz, der Schlimmeres verhinderte und so insgesamt zu deutlich weniger Schadenfällen führte.
„In den Medien hören und lesen wir viel von Naturkatastrophen. Gleichzeitig sind jedoch die meisten von uns viel besser versichert als früher.“
Verfolgt man die Berichterstattung in den Medien, so hören und lesen wir viel von Naturkatastrophen. Gleichzeitig sind jedoch die meisten von uns viel besser versichert als früher. Waren damals viele Schäden einfach schlicht nicht gedeckt, spielt heute die höhere Versicherungsdurchdringung logischerweise eine wesentliche Rolle. Steigende Versicherungsschäden bedeuten also nicht zwingend mehr Katastrophen, sondern auch mehr Wachstum in unserer Branche. Wichtig ist eine durchdachte und konsistente Zeichnungspolitik, um das Naturkatastrophen-Exposure im Griff zu haben.